Thomas Sevcik: «In der Agglo ist die Action»

Wie funktioniert die Mobilität von morgen – und wie nicht? Stratege Thomas Sevcik sprach am ersten Polestar Future Talk mit Städtebau-Expertin Mirjam Niemeyer über Denkfehler, Homeoffice-Hocker und zu grosse Stadtwohnungen in Zürich.

Mehr Velofahren ist schön, weniger fliegen auch. Fürs Klima würde es aber wirklich etwas bringen, wenn wir auf weniger Fläche wohnen würden.
Thomas Sevcik

Thomas Sevcik ist eine Naturgewalt – in Statur und Sprache: Furchtlos und hellwach, in schlichten schwarzen T-Shirt und Freizeithose präsentiert er sich als präziser Denker und unterhaltsamer Podiumsgast ohne Scheu vor pointierten Aussagen.

Als Mitgründer des Thinktanks arthesia entwickelt Thomas Strategien für Unternehmen, Organisationen, Städte und ganze Staaten – und weiss deshalb auch um die Denkfehler der ganz Grossen wie der EU. Auf die Frage, ob er es für vertretbar halte, dass die EU die Verbrennungsmotoren bis 2035 verbannen will, antwortet er: «Das ist völlig in Ordnung. Das Problem ist nur: Die Zyklen in der Autoindustrie sind viel länger. Um das Ziel bis 2035 zu erreichen, hätte die EU bereits 2017 mit dem Prozess anfangen müssen.»

Das Ende der Verbrennungsmotoren und mehr E-Mobilität sind gemäss Sevcik nur ein Teil des Plans, wie wir zu einer nachhaltigeren Welt kommen. Wichtiger ist für ihn die Wohnsituation von Menschen in unseren Breitengraden. «Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Zürich wohnen wahnsinnig grosszügig – im Durchschnitt auf 41 Quadratmetern», rechnet er vor. In Frankfurt und Wien – auch schöne, lebenswerte Städte – hätten die Bewohnerinnen und Bewohner durchschnittlich nur 33 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. «Diese sieben Quadratmeter pro Einwohner machen viel aus», ist Thomas Sevcik überzeugt. «Das sind die wirklichen Veränderungen, die tun aber auch weh. Mehr Velofahren ist schön, weniger fliegen auch. Fürs Klima würde es aber wirklich etwas bringen, wenn wir auf weniger Fläche wohnen würden.»

Sevcik, der als Mastermind hinter der «Autostadt» in Wolfsburg (D) gilt und massgeblich an der Idee des «Circle» am Flughafen Zürich beteiligt war, hat gute Kontakte in die Chefetagen von grossen Konzernen; das Homeoffice als Treiber für weniger Verkehr ist für ihn aber auch nur die halbe Lösung: «Von vielen CEOs höre ich, dass nach der Pandemie die falschen Leute ins Büro zurückgekommen sind – nämlich diejenigen, die schon an der Zukunft arbeiten. Im Homeoffice bleiben all jene, die sich ohnehin lieber verstecken.» Leute, die systematisch auf remote work setzten, nähmen sich deshalb freiwillig aus dem Spiel und würden dabei vergessen: «Das kann die Maschine auch.»

 Einen weiteren Denkfehler ortet Thomas Sevcik beim Modell der «Stadt der kurzen Wege»: «Der Bäcker in meiner Nähe ist nicht zwangsläufig der mit den Brötchen, die mir am besten schmecken. Solches Modelldenken entspricht einfach nicht der Realität.» Hingegen ist er überzeugt davon, dass die «Zwischenstadt» aufgewertet und strukturell ausgebaut werden müsse. In diesem Punkt geht er einig mit Städteplanerin Mirjam Niemeyer: «Die Action liegt in der Zwischenstadt, in der Agglo. Diese muss urbanisiert werden. Hier müssen wir Velowege bauen. Wir müssen aussen verdichten, nicht nur in den Innenstädten.»

In ein, zwei Jahren fahren die Zürcher Drogendealer auch mit E-Autos herum.
Thomas Sevcik

Auch beim Thema Übermobilisierung sind sich die beiden Podiumsgäste weitgehend einig: Das Zuviel an Mobilität werde durch zu tiefe Preise begünstigt, wie am Beispiel des Generalbonnements der SBB in der Schweiz zu sehen sei: «Das GA ist eine Subvention auf Kosten der Allgemeinheit und der zukünftigen Generationen. Und es trägt letztlich zur Übermobilisierung bei. Wir müssen die Übermobilisierungs-debatte führen. Vielleicht können wir uns den Viertelstundentakt nicht mehr leisten.» Auch Mobilität sollte in den Augen von Thomas Sevcik eine Frage des Preises sein, am besten mit einem Dynamic Pricing, gekoppelt mit der Nachfrage: «Am Morgen um 7:00 Uhr muss die Strecke Zürich-Bern einfach dreimal mehr kosten als am Nachmittag um 15:00 Uhr.»

Dabei glaubt Thomas Sevcik an die Anpassungsfähigkeit der Menschen, auch wenn es um die Mobilität geht: «Ich bin ein Fan vom Menschen», sagt er. Der Mensch mache aus einer Schwierigkeit eine Geschichte und daraus einen Lifestyle. «Ich glaube auch, dass er aus der Demobilisierung einen Lifestyle machen wird.»

Die Marke Polestar sei ein typisches Beispiel dafür, wie ein «vernünftiges» Produkt auch «cool» werden könne: «Mit Veränderung, aber ohne Verzicht.» Und augenwzwinkernd fügt er noch an: «In ein, zwei Jahren fahren die Zürcher Drogendealer auch mit E-Autos herum.»

So viel Spass muss sein – auch bei einem ernsten Thema wie nachhaltige Mobilität – Hope or Hype.

Wie steht Mirjam Niemeyer zu diesem Thema? Lies hier ihre wichtigsten Aussagen dazu nach. 

Über Thomas Sevcik

Mit seinem Thinktank arthesia entwickelt Thomas Sevcik Strategien für Unternehmen, Organisationen, ganze Städte und sogar Staaten. Thomas ist spezialisiert auf Neupositionierungen und Avantgardeprojekte. So gilt er als einer der Masterminds des Projektes “Autostadt” in Wolfsburg (D). Er initiierte, dass der Konzern VW in einer Art Themenpark sichtbar und damit für alle relevanten Gruppen erreichbar wird – Kundinnen und Kunden, Shareholders und Analystinnen und Analysten. Thomas war auch massgeblich an der Idee zum Grossprojekt “The Circle” am Flughafen Zürich beteiligt. Er sagt von sich selbst, er sortiere gerne Altes aus und rege Neues an. Berufsbedingt ist Sevcik Vielflieger und bezeichnete sich in einem Interview selbst als «Klimaschwein».

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