Der „Overview-Effekt“ mit Karen Nyberg

Der „Overview-Effekt“: Ein Phänomen, welches einige Astronautinnen und Astronauten erleben, sobald sie zum ersten Mal die Erde aus dem Weltraum sehen. Diejenigen, die den „Overview-Effekt“ erlebt haben, beschreiben ein neues Verständnis für die Einzigartigkeit, Zerbrechlichkeit und relative Kleinheit unserer einzigen Heimat. Um von diesem Phänomen ein besseres Verständnis zu bekommen, haben wir uns mit Karen Nyberg zusammengesetzt.

Sie hängt dort allein im Dunkeln. Um sie herum ist nichts anderes, wohin die Menschen gehen könnten. Das ist unser einziges Zuhause und wir müssen es beschützen.
Karen Nyberg

Der „Overview-Effekt“: Ein Phänomen, welches einige Astronautinnen und Astronauten erleben, sobald sie zum ersten Mal die Erde aus dem Weltraum sehen. Diejenigen, die den „Overview-Effekt“ erlebt haben, beschreiben ein neues Verständnis für die Einzigartigkeit, Zerbrechlichkeit und relative Kleinheit unserer einzigen Heimat. Um von diesem Phänomen ein besseres Verständnis zu bekommen, haben wir uns mit Karen Nyberg zusammengesetzt.

Die Maschinenbauingenieurin und ehemalige NASA-Astronautin war die 50. Frau im Weltraum und verbrachte dort insgesamt 180 Tage im Rahmen von zwei Missionen. „Am Ende verbrachte ich etwa sechs Monate auf der Internationalen Raumstation (ISS). Ich liebte es, Zeit in der Kuppel zu verbringen", sagt sie. Die Kuppel ist ein Art Beobachtungsraum, der einen unvergleichlichen Ausblick auf die Erde bietet. Die ISS umdrehte die Erde am Tag ganze 16-mal mit der Kuppel. „Dinge wie den Sonnenuntergang zu beobachten, waren unglaublich", erklärt sie. „Es ist stockdunkel, man sieht die Lichter der Stadt, und plötzlich wird der Rand der Erde heller. Man sieht diese Linie, die ihre Farbe ändert und immer dicker wird, und dann erscheint die Sonne."

 Laut Nyberg sind es Momente wie diese, die die Zerbrechlichkeit des Planeten wirklich unterstreichen. Allein die dünne Atmosphäre führt zu der Erkenntnis, dass die Grenze zwischen gastfreundlich und unwirtlich kosmisch gesehen gar nicht so dick ist. „Man sieht, wie sehr jedes Teil, jedes Ökosystem, alles auf der Erde miteinander verbunden ist", erzählt sie. „Sie hängt dort allein im Dunkeln. Um sie herum ist nichts anderes, wohin die Menschen gehen könnten. Das ist unser einziges Zuhause und wir müssen es beschützen.“

 Nyberg unterstreicht auch das Gefühl der zwischenmenschlichen Verantwortung. Da die Erde das Zuhause eines jeden Menschen ist, hat jeder Mensch die Pflicht, das ihm Mögliche zu tun, um sie zu schützen. „Das ist der zweite Aspekt des ‚Overview-Effekts‘: zu verstehen, dass die Erde unser Zuhause ist. Das Zuhause jedes einzelnen Menschen. Wir sind alle miteinander verbunden. Wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede."

 Klein erscheinende Veränderungen, wie das Fahren von Elektro- statt von Verbrennungsfahrzeugen, haben einen grossen und nachhaltigen Effekt auf unsere Umwelt und die dort lebenden Organismen. Das ist Musik in unseren Ohren.

 Nyberg ist der Meinung, dass wir den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, noch nicht überschritten haben. Trotzdem war der Handlungsbedarf noch nie so gross wie heute. Es überrascht vielleicht nicht, dass sie der Meinung ist, dass technologische Innovationen der Schlüssel zu einem echten Wandel sein könnten. „Wir haben vor allem in den letzten Jahren gesehen, wohin die Technologie uns führen kann", sagt sie. „Es gibt so viele kluge Köpfe, die täglich damit arbeiten und uns immer einen bedeutenden Schritt weiterbringen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir kreative und innovative Lösungen für unsere Umweltprobleme finden werden."

 Innovationen wie das Projekt Polestar 0, mit dem wir bis 2030 ein klimaneutrales Auto entwickeln wollen, sind Beispiele dafür, wie Einfallsreichtum und Technologie über Pflasterlösungen hinausgehen und die Krankheit statt des Symptoms bekämpfen können. 

 Natürlich geht es nicht nur um die Technik. Nyberg ist auch der Meinung, dass vielen Menschen der Ernst der Lage nicht bewusst ist. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Klimakrise ist die Standardeinstellung vieler Menschen, sogar für Nyberg selbst war das irgendwann einmal der Fall. „Vor meiner Zeit im Weltraum war ich den meisten Umweltfragen gegenüber gleichgültig", gibt sie zu. „Ich habe nicht wirklich über die Dinge nachgedacht, die meine Familie weggeworfen hat. Oder wie viel Wasser wir verbrauchten." Nyberg ist der Meinung, dass ein grösseres Bewusstsein der aktuellen Situation nötig ist. „Es kann überwältigend sein, die gesamte Situation zu betrachten", sagt sie. „Kleine Dinge machen einen Unterschied, wie beispielsweise weniger Plastik zu nutzen oder seine Wasserflasche erneut aufzufüllen, statt eine neue zu kaufen. Ich denke, wir können umweltbewusst denken und trotzdem unser Leben geniessen. Wir sind eine sehr innovative Spezies, wir werden ganz sicher einen Weg finden".

 Nyberg ist einer der über 560 Menschen, die seit der ersten Erdumrundung des Kosmonauten Juri Gagarin im Jahr 1961 ins All geflogen sind. Als solche hat sie einen tief greifenden Perspektivwechsel erlebt. Der „Overview-Effekt“ hat sie nachhaltig geprägt. Die Erkenntnis, dass unser Planet sowohl zerbrechlich als auch unser einziges Zuhause ist, unterstreicht die Bedeutung des Handelns mehr als alles andere.

Und da wir nicht alle in den Weltraum fliegen können, sollten wir auf diejenigen hören, die es bereits getan haben.

Sieh dir hier das Video von Karen an.

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