Auf Tuchfühlung mit Tabus – mit dem belgischen Künstler Thibeau Scarcériaux

Design gibt es überall. Es gibt gutes und schlechtes Design. Und Design, das uns nachdenklich stimmt. Der aus Belgien stammende funktionale Künstler Thibeau Scarcériaux möchte Kunst schaffen, die Menschen zum Nachdenken bringt – und ins Gespräch über Tabu-Themen.

Three of Thibeau Scarcériaux's designs.
Die Schnittstelle zwischen Kunst und Design

Als Ort seines Schaffens hat sich Thibeau eine verlassene Feuerwache in einem Randbezirk von Antwerpen ausgesucht, deren Abriss für 2025 geplant ist – es gibt wohl kaum einen besseren Platz für einen aufstrebenden Künstler. Der Raum ist derzeit bis unter die Decke mit Möbeln aus den 70er-Jahren, aufgehängten Fahrrädern, Röntgenbildern, mit Aluminiumfolie beschichteten Lüftungskanälen und hunderten von Glassplittern gefüllt.

Thibeaus berufliche Laufbahn hat ihn durch die verschiedensten Bereiche des Designs geführt – angefangen beim industriellen Produktdesign bis hin zum Möbeldesign. Hängengeblieben ist er letztendlich an der Schnittmenge zwischen Design und Kunst.

„Ich glaube, dass es einen schmalen Grat zwischen Kunst und Design gibt. Ich fühle mich beiden Seiten verbunden, daher ist meine Arbeit auch genau an der Schnittstelle angesiedelt. Ich möchte einzigartige Stücke schaffen, die dennoch funktional sind und eine gewisse handwerkliche und künstlerische Qualität ausstrahlen", sagt er.

Wenn Thibeau mit der Arbeit an einem Objekt beginnt, hat der größte Teil dieser Entstehungsgeschichte bereits in seinem Kopf stattgefunden. Einige seiner Visionen haben bereits monate-, wenn nicht jahrelang in seiner Ideenschmiede geschmort, bevor sie Form annehmen.

„Was die zeitliche Aufteilung angeht, verbringe ich ca. 90 Prozent damit, die Geschichte eines Objekts zu ersinnen, und 10 Prozent mit seiner Herstellung. Es geht vielmehr darum, eine neue Sache mit Leben zu füllen als sie dann tatsächlich zu produzieren", so der Belgier weiter. „Es ist ein ganz eigener Prozess. Manchmal ist er nach einer Woche abgeschlossen – andere Male dauert er Jahre."

Designer Thibeau Scarcériaux's studio.
Profile of designer Thibeau Scarcériaux.
Kunst schafft eine Plattform, um über Tabus zu sprechen.
Thibeau Scarcériaux, funktionaler Designer und Künstler
Nachdenken über die Gestaltung von Dingen, die wiederum andere zum Nachdenken bringen sollen

Tabus ziehen Thibeau geradezu magisch an. In den meisten seiner Werke geht er den sozialen, kulturellen oder wirtschaftlichen Dimensionen eines bestimmten Tabus auf den Grund. Durch diese Annäherung an ein schwieriges Thema möchte er das Gespräch zwischen seinem Werk und der Betrachterin oder dem Betrachter anregen. Oder auch zwischen Betrachterinnen und Betrachtern und ihm selbst.

„Kunst schafft eine Plattform, um über Tabus zu sprechen. Die Objekte sind ein Ausgangspunkt, um einen Dialog zwischen Betrachter und Künstler anzustoßen. Eigentlich ist das Gespräch, das in diesem Rahmen entsteht, viel wichtiger als das Kunstwerk an sich", zeigt er sich überzeugt. 

Eines seiner jüngsten Werke, der War Chair (zu Deutsch: Kriegsstuhl), ist ein Beispiel für ein sorgfältig durchdachtes Stück, dessen Betrachtung nachdenklich stimmt.

Unter dem tiefen Eindruck des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine baute Thibeau einen Stuhl aus kugelsicherem Glas ohne sichtbare Verbindungsstücke, was dem Stuhl eine grenzenlose Kontinuität verleiht. Dieser Makellosigkeit machen allerdings Kugeleinschläge ein Ende, die das Glas an mehreren Stellen zum Bersten bringen – ein Symbol für die destruktive Kraft des Krieges. Das Kunstwerk soll die Betrachterin oder den Betrachter zum Nachdenken über die körperliche und emotionale Zerstörung durch den Krieg und die unsichtbaren Narben anregen, die er bei Menschen und Gesellschaften hinterlässt.

Die Provokation ist gelungen. Thibeau muss seitdem nicht mehr nach Gesprächspartnerinnen und -partnern Ausschau halten, um sich über Tabus auszutauschen. „Und das ist kein Smalltalk. Manchmal unterhalten wir uns 20 Minuten lang. Die Menschen haben mir sehr viel mitzuteilen", berichtet Thibeau. „Einen Ort für den Dialog zu schaffen, ist so wesentlich. Denn das bringt die Menschen näher zusammen.“

The War Chair by designer Thibeau Scarcériaux.
Flohmärkte als Inspirationsquelle

Thibeau hat meistens schon sehr lange über ein Tabu oder eine bestimmte Idee nachgedacht, bevor er sie dann tatsächlich zum Leben erweckt. Manchmal sind aber auch die Materialien zuerst da und die Idee kommt anschließend.

Auf der Suche nach neuen Inspirationen ist Thibeau regelmäßig auf Flohmärkten unterwegs – hier stockt er auch seinen Fundus an ausgefallenen Materialien auf. Denn im Grunde seines Herzens ist er ein Sammler. Dinge wie Glas oder auch Röntgenbilder könnten schon bald die Inspiration für die nächste Kreation liefern. 

Eine Zeit lang waren 2.000 Quadratmeter seines Ateliers mit Röntgenbildern aller möglichen Körperteile gefüllt, die er auf einem Flohmarkt entdeckt hatte (einem ganz gewöhnlichen belgischen Flohmarkt, wie er versichert). Inspiriert von der Black-Lives-Matter-Bewegung wurden diese später Teil der „X-race collection“, einer Serie von Objekten, die Betrachterinnen und Betrachter zum Nachdenken über Rassismus anregen sollte.

Bei seiner Ausstellung im Polestar Space in Brüssel hat er wahrhaft alle Register gezogen.

Designer Thibeau Scarcériaux's designs in the Polestar Space in Brussels.
Die Polestar Gallery – eine Plattform für kreative Köpfe

Der eigentliche Schaffensprozess ist für Künstlerinnen und Designer nur die halbe Miete. Denn viele Werke bekommen nie die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Polestar möchte das ändern.

Unsere Polestar Spaces in Brüssel, Antwerpen, Gent und Hasselt öffnen diesen Herbst ihre Türen für lokale Designerinnen und Designer aus unterschiedlichen Disziplinen, die ihre jüngsten Projekte vorstellen.

„Wir bieten Schaffenden eine Plattform für ihre Kreationen – davon erhoffen wir uns innovative Ideen, die inspirieren und etablierte Grenzen sprengen", erläutert Femke Brouns, Head of Marketing, PR and Events bei Polestar Belgien. „Darüber hinaus befeuert diese Initiative auch die kreative Kraft der Zusammenarbeit, um wirkliche Veränderung zu erzielen.“

Thibeau ließ nicht lange auf sich warten und steuert sein Werk „Reflective Vision“ bei: Die Kreation besteht aus recyceltem Glas und Spiegeln – Ausdruck einer Welt, in der künstlerische Schaffensformen und Umweltbewusstsein nicht im Widerspruch zueinander stehen. Dabei haucht das Werk nicht nur den Materialien neues Leben ein, sondern veranlasst auch zu Introspektion und Transparenz.

Falls Sie diesen Herbst mal nach Brüssel kommen, sollten Sie sich die Ausstellung „Polestar Gallery x Thibeau Scarcériaux: Reflective Visions“ auf keinen Fall entgehen lassen: Sie findet vom 25. Oktober bis 21. November im Polestar Space Brüssel statt.

Denken Sie mal darüber nach.

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