Journal 5
Im vergangenen Jahr stellten wir den Polestar 1 erstmals öffentlich vor. Damit lösten wir einen weltweiten Begeisterungssturm aus. Er sah bereits dermaßen perfekt und ausgereift aus, dass klar war: Das hier ist nicht nur eine Konzeptstudie, sondern das erste Auto von Polestar, das bald in Serie gehen wird. Es war offensichtlich, dass dies kein Test war.
Die perfekte Balance
Hier präsentierte sich ein spannender neuer Autobauer mit ehrgeizigen Zielen. Hinter den Kulissen waren bei Polestar alle fest dazu entschlossen, die wundervollen Proportionen dieses schnittigen und athletischen Coupés im Jahr 2019 auf die erste Serienversion des Polestar 1 zu übertragen.
Um diesem ursprünglichen Design treu zu bleiben, mussten wir jedoch fortschrittliche Materialien verwenden. Der Einsatz von Kohlefaser bzw. Carbon war für uns nicht nur unverzichtbar, um die schlanken Proportionen des Polestar 1 zu bewahren und sein Gewicht niedrig zu halten, sondern auch, um unsere ehrgeizigen Performance-Ziele zu erreichen.
Doch als wie schwierig würde sich dieses Material herausstellen? Würde es unseren Design- und Ingenieursteams gelingen, eine ausgewogene Materialkombination zu finden, und würden die Vorteile von Carbon den ganzen Aufwand wert sein?
Wir führten ein Interview mit Zef van der Putten, der als Chefingenieur für den Polestar 1 verantwortlich ist.
Den Einsatz von Carbon perfektionieren
Carbon bzw. Kohlefaser gilt nach wie vor als ein exklusives und teures Material, das leichtgewichtig ist. Damit eignet es sich perfekt für den Einsatz in einem Auto, das ein derartig hohes Maß an fortschrittlicher Technologie, Zukunftsorientierung und Performance in sich vereint.
Carbon kam vor ca. 30 Jahren erstmals in Formel-1-Rennwagen zum Einsatz. Obwohl sich dieses Material damals nur schwer verarbeiten ließ, überwogen aufgrund seiner besonderen Eigenschaften dennoch die Vorteile. Es war offensichtlich, dass Carbon erheblich leichter und stabiler war als andere Materialien. Schon bald verwendete jedes Formel-1-Team Carbon, und die Hersteller von High-End-Sportwagen taten es ihnen gleich. Das besiegelte seinen Ruf als ein Material, das drastische Performance-Steigerungen ermöglicht.
Karosserieteile aus Carbonfaser sind heutzutage der Inbegriff innovativer Performance. Kein Wunder: Sie reduzieren das Gewicht, verbessern die Leistung, senken den Schwerpunkt und erhöhen die Torsionssteifigkeit des Fahrzeugs.
Und das fällt einem sofort auf, wenn man den Polestar 1 aus der Nähe betrachtet. Dabei braucht man ihn nur einmal zu umrunden, um zu erkennen, welche geniale Ingenieurskunst sich hier verbirgt. Der Aufbau und Anbauteile wie die Türen, die vorderen Kotflügel, die Motorhaube und die Heckklappe bestehen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK). Und dann ist da noch diese niedrige Dachlinie, die schon so viele Betrachterinnen und Betrachter fasziniert hat.
„Eine normale Stahlkonstruktion wäre klobiger gewesen – das Dach höher und die Fenster senkrechter. Die Verwendung von Carbonfaser macht diese niedrige, elegante Dachlinie möglich“, so van der Putten.
Der Evolution sei Dank: Libellen sind die Antwort der Natur auf die Frage nach maximaler Stabilität, Geschwindigkeit und Agilität.
Das Auge folgt dieser Linie automatisch von der A- bis zur C-Säule. Was man jedoch nicht sieht, ist die ausgefeilte Struktur, die sich darunter verbirgt: ein vorgefertigtes, extrem steifes Kohlefaserrohr, das mit den beiden Halbelementen der ebenfalls aus Carbon gefertigten Säulenkonstruktion verbacken ist. Diese Elemente sind wiederum mit schmalen, leichten und hochsteifen Querprofilen aus Kohlefaser verbunden.
Aber das ist noch längst nicht alles, denn wir haben die SPA-Plattform grundlegend überarbeitet. Beim Radstand fielen 320 mm weg und am Heck 200 mm. Zudem ließ sich das Ingenieursteam von Polestar von der Natur inspirieren: Ein libellenförmiges Carbonfaserteil namens „Dragonfly“* verbessert die Torsionssteifigkeit zwischen dem mittleren Unterboden und der Heckkonstruktion – einer kritischen Stelle der Karosserie – um ein Wesentliches. Das Ergebnis spricht für sich: eine um 45 Prozent steifere Chassisstruktur.
* Eine clever geformte CFK-Einlage, die nahtlos mit dem stählernen Unterboden verbunden ist. Dies versteift die normalerweise schwache Übergangsstelle zwischen dem mittleren Unterboden und der Heckkonstruktion. Bei Polestar heißt diese Komponente „Dragonfly“, auf Deutsch Libelle.
Mit dem Material auf Tuchfühlung gehen
Wir fragten van der Putten, welche Erfahrungen das Ingenieursteam im Laufe des Projekts mit der Verarbeitung von Carbon sammeln konnte. Seine Antwort:
„Uns mit diesem Material vertraut zu machen, gehörte zweifellos zu den größten Herausforderungen. Wir wollten unbedingt eine perfekte Lösung für den Polestar 1 finden und scheuten dafür weder Kosten noch Mühe. Dabei haben wir viel gelernt. Auch wenn nicht immer alles nach unseren Erwartungen lief, waren es oftmals die Überraschungen, aus denen wir das meiste lernten. Dieser Prozess hat zu einer sehr hohen Präzision und Verarbeitungsqualität geführt.“
Nachdem sich das Ingenieursteam von Polestar mit dem Material vertraut gemacht hatte, wurden alle weiteren Parameter festgelegt und gesteuert. Dazu gehörten einige wichtige Entscheidungen – unter anderem, welche Faser und welches Harz verwendet wird und wie die einzelnen Segmente zusammengebaut und lackiert werden.
Außerdem lernte das Team, wie es das Material für die rechnergestützte Entwicklung (CAE) definieren musste, damit sich die Teile eingehend testen und bewerten ließen. Die Teammitglieder wussten aus Erfahrung, dass sich Carbonteile abhängig von der einwirkenden Kraft unterschiedlich verhalten. Also wurden Drapiersimulationen ausgeführt, um das Materialverhalten unter echten Praxisbedingungen vorauszuberechnen.
Und welche Vorteile ergeben sich aus dieser cleveren Modellierung? Die direktionalen Verflechtungen im Material sind nun gezielt im Fahrzeug platziert. So können sie den bei verschiedenen Fahrsituationen auftretenden Kräften entgegenwirken und die Festigkeit erhöhen.
Beim Polestar 1 wollten wir eine maximale Performance erzielen, aber gleichzeitig seine Maße und sein Gewicht so gering wie möglich halten. Dafür haben wir umfangreiche Forschungen, Analysen und Tests ausgeführt und uns manchmal auch förmlich den Kopf zerbrochen. Durch den Einsatz von Carbon wird das Auto um ganze 230 kg leichter – dadurch fallen die Batterien nicht zusätzlich ins Gewicht.
Das ist wirklich ein eindrucksvolles Ergebnis.
Die Umsetzung des Designs
Die Konzeption und Umsetzung des Designs spielt für jeden Autobauer eine wichtige Rolle. Da der Polestar 1 das erste Modell unserer Marke sein würde, war es wichtig, eine klare Aussage zu treffen und unsere einzigartige Designsprache perfekt zum Ausdruck zu bringen.
Laut van der Putten spielt das Material dabei zumindest anfangs noch keine wirklich wichtige Rolle. Die Unterschiede werden erst später offensichtlich, wenn es um die Oberflächengestaltung und das Einbinden der Details geht. Carbon ermöglicht völlig neuartige Designs. Dabei spielen Einschränkungen wie die Presstiefe plötzlich keine Rolle mehr. So können die Designer wesentlich eindrucksvollere – oder bei Bedarf glattere – Oberflächen erschaffen.
„Wenn wir mit Stahl gearbeitet hätten, wäre die Oberflächengestaltung der Motorhaube wesentlich unspektakulärer ausgefallen. Jetzt können wir das Auto wie eine Skulptur formen und die Charakterlinien mit prägnanteren Knicken und Kanten versehen. Das verleiht dem gesamten Auto einen technischeren und raffinierteren Look“, fügt van der Putten hinzu.
Er fährt fort: „Wenn man Carbonteile in geringer Stückzahl herstellt, lässt sich vieles in Handarbeit erledigen. Dadurch kann man immer eine optimale Lösung finden, mit dem Zulieferer reden und bestimmte Dinge anders machen, um am Ende ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die Proportionen und die Formgebung spielen bei jedem Design eine äußerst wichtige Rolle. Wir sind jedenfalls mit dem Ergebnis sehr zufrieden.“
Carbon zu lackieren ist etwas völlig anderes als das Lackieren von Stahl. Hier den richtigen Farbton und eine perfekte Verarbeitungsqualität zu erzielen, stellte das Team vor eine große Herausforderung.
Der optische Eindruck zählt
Ein derartig exklusives und teures Material erfordert bei jedem Verarbeitungsschritt ein hohes Maß an Erfahrung und handwerklichem Geschick. Bei der Lackierung des neuen Polestar 1 haben wir viel experimentiert und ausprobiert.
„Autodesigner wissen genau, was sie zu tun oder zu lassen haben – wenn es um ein Auto in herkömmlicher Stahlbauweise geht. Doch mit Carbon ist nicht nur alles anders, sondern es ist auch nahezu alles möglich“, so van der Putten.
Carbon zu lackieren ist jedoch etwas völlig anderes als das Lackieren von Stahl. Wenn die Teile vom Zulieferer kommen, sind sie mit einer Grundierung versehen. Hier den richtigen Farbton und eine perfekte Verarbeitungsqualität zu erzielen, stellte das Team vor eine große Herausforderung.
Dasselbe gilt für die Qualitätskontrolle. Wo einst hoch qualifizierte Fachleute die Oberflächen mit Adleraugen nach kleinsten Farb- oder Verarbeitungsfehlern absuchten, stellen sich nun beim lackierten Carbon plötzlich ganz andere Qualitätsfragen. Und so ist es bei Polestar mit allen Dingen: Unsere Ziele sind hoch gesteckt, und jedes Teammitglied sucht unermüdlich nach noch besseren Möglichkeiten zur perfekten Handhabung des Materials.
Die Sicherheit als Teil der Performance
Wenn es um die Sicherheit und Robustheit des Polestar 1 geht, stellen wir höchste Ansprüche, die er in eingehenden Tests erfüllen muss. Bei der Montage stellt das Zusammenfügen der Carbonteile mit der Stahlplattform und anderen Bauteilen aus Stahl eine besondere Herausforderung dar. Da Stahl nachgiebiger als Kohlefaser ist, verwenden wir einen eigens entwickelten Klebstoff, der die unterschiedlichen Bewegungen der Stahl- und Carbonfaserteile abfängt. Dazu erklärt van der Putten:
„Carbon ist ein lineares, sprödes Material. Im Automobilbau kommen normalerweise Werkstoffe wie Stahl zum Einsatz, die sich vor dem Zerbrechen verformen. Carbonfaser hingegen verhält sich je nach Richtung der einwirkenden Kräfte anders.“
Das Ergebnis ist ein Auto, das in puncto Crashsicherheit und Robustheit weltweit neue Maßstäbe setzt. Die Verbindung aus Carbonkarosserie und Stahlplattform verleiht dem Polestar 1 beste Fahreigenschaften und eine herausragende Sicherheit.
Ein Auge auf jedes Detail
Ausgehend von unseren bisherigen Erfahrungen ist Carbon ein in jeder Hinsicht starkes Material. Gleichzeitig erfordert es ein hohes Maß an handwerklichem Geschick und Geduld, wenn wir damit perfekte Ergebnisse erzielen wollen. Doch wenn uns das gelingt, erschaffen wir eine einzigartige Kombination aus maßgeschneiderter Präzisionskonstruktion und raffiniertem Design. Ein Produkt, das unsere Blicke magisch anzieht und uns eine völlig neue Sichtweise eröffnet. Man fährt mit der Hand über die Oberflächen und spürt, dass diese nicht maschinell in einer Karosseriepresse entstanden sind, sondern dass alle Carboneinlagen in Handarbeit eingesetzt wurden. Man kann sich darauf verlassen, dass alle Strukturen perfekt aufeinander ausgerichtet wurden. Und man weiß, dass jedes Teil von Hand und mit einem sorgsamen Blick für jedes noch so kleine Detail endbearbeitet wurde. Diese Details machen den Polestar 1 zu etwas ganz Besonderem.
Jede Carboneinlage wird von Hand eingesetzt, um sicherzustellen, dass die Strukturen optimal aufeinander ausgerichtet sind. Auch die Endbearbeitung jedes Teils erfolgt per Hand.
Werden wir künftig bei unseren Autos noch mehr Carbon verwenden? Diese Frage lässt sich derzeit nur schwer beantworten. Bevor wir eine Entscheidung treffen können, müssen viele Parameter definiert werden. Eines ist jedoch sicher: Carbon ist vielseitig einsetzbar – nicht nur in Autos –, und der Aufwand lohnt sich. Es ist gut zu wissen, dass die Zulieferer bereits nach Möglichkeiten suchen, um das Material zu recyceln und wiederzuverwenden. Das hat bei unserer Entscheidung, den Polestar 1 mit Carbonfaser zu bauen, eine wesentliche Rolle gespielt.
Ist es dem Team gelungen, das richtige Gleichgewicht zu finden und der Polestar Philosophie – keine Kompromisse und keine Abkürzungen – treu zu bleiben?
Ich denke schon – und zwar auf ganzer Linie.
Carbonfaser ist nur eine von vielen Innovationen, die wir in unseren Autos verbauen.
Der Polestar 1 ist ein besonders leistungsstarker und exklusiver Plug-in-Hybrid. Er vereint die Vorzüge der Elektromobilität mit herausragender Performance, wundervollen Proportionen, höchster Ingenieurskunst und innovativer Technologie. Jedes Teil wird mit größter Sorgfalt ausgewählt und entwickelt. Der Einsatz von Carbon ist nur ein Beispiel für unseren festen Vorsatz, mit dem Polestar 1 ein Auto ohne Kompromisse zu bauen.
Carbon (CFK) im Polestar 1 – ein paar Fakten
- 1.Gewicht: Durch die nahtlose Verbindung aus Carbonteilen und dem SPA-Chassis konnte eine Gewichtsreduktion von 230 kg erzielt werden.
- 2.Steifigkeit: Die Torsionssteifigkeit konnte von 22 Nmm² auf 32 Nmm² erhöht werden – das ist ein Plus von 45 %.
- 3.Schwerpunkt: Die Kombination aus stählerner SPA-Bodengruppe und CFK-Karosserieteilen sorgt für einen niedrigeren Schwerpunkt, der erstklassige Handlingeigenschaften und eine maximale Performance ermöglicht.